Lucca, die Siebte: Ein bisschen Alltag und andere Gedanken

DelfineSo langsam entsteht hier bei mir doch so etwas wie ein Alltag. Ich arbeite nach wie vor super gerne im Restaurant. Die Leute sind so lieb, das Konzept ist schön und ich habe einfach Spaß dabei. Die Atmosphäre ist jung und modern in einem Gebäude, was schon seit 1586 existiert. Entspannt und doch professionell. Das Essen ist traditionell lucchesisch bzw. toskanisch, mit frischen Variationen.

Teilweise ist es ziemlich stressig, besonders am Wochenende, aber auch das gefällt mir. Das sind dann 2h in denen wir alle nur durch die Gegend rennen und nach ist es wieder ruhiger. Wahnsinnig viel arbeite ich nicht, ich bin 6 Abende in der Woche da und manchmal mache ich auch eine Doppelschicht, arbeite also den ganzen Tag. Die anderen arbeiten fast immer. Wenn ich frei habe war mir in der letzten Zeit immer noch ziemlich langweilig, ich habe auch viel geschlafen, weil ich irgendwie ständig müde war. Ich habe mich immer wieder gefragt, warum das wohl so ist, bis ich auf die Idee gekommen bin, meine Ernährung mal ein bisschen genauer zu betrachten. Im Restaurant gab es nämlich 2x am Tag Pasta… Ich glaub, ich habe einfach nicht genug frische Lebensmittel gegessen. Seit dem ich das geändert habe, bin ich wieder fit!

Momentan gehe ich wieder mehr raus, setze mich dann für ein paar Stunden in irgendwelche Cafés und lerne italienisch, schreibe Tagebuch oder höre anderen Leuten zu. Ich habe mir gerade ein neues Übungsbuch zum lernen gekauft. Ich mach jetzt Sprachlevel B1, da bin ich ein wenig stolz drauf!

Meine Erwartungen an meine Zeit haben sich im Laufe der Zeit ziemlich verändert. Insgeheim bin ich davon ausgegangen, dass jeder Abend einer dieser „typisch italienischen“ Abende wird, an denen zusammen gegessen und getrunken wird, man zusammen wahnsinnig viel Spaß hat, bei wunderbarem Wetter. Die gibt es. Ohne Frage, aber eben nicht täglich und das ist ja auch ganz schön so. Denn sie bleiben etwas Besonderes! Es gibt also die ganz normalen Abende, an denen ich mit meinen Kollegen nach der Arbeit vor dem Restaurant sitze und wir Bier trinken, manchmal gehen wir noch in eine andere Bar und einmal die Woche, an meinem freien Tag, gehe ich auch mit Freunden was essen und diese filmreife Atmosphäre entsteht tatsächlich. Anfangs war ich etwas enttäuscht, eigentlich nur in der Zeit, als ich noch im anderen Restaurant gearbeitet habe. Da war es dann meistens so, dass ich so schnell wie möglich nach Hause gegangen bin, um mich hinzulegen. Keine zauberhafte Atmosphäre. Auch deshalb bin ich sehr glücklich, dass ich jetzt woanders gelandet bin.

Teilweise ärgere ich mich, dass ich relativ wenig spreche, wenn ich mit mehreren Italienern zusammen bin. Aber das habe ich jetzt einfach mal akzeptiert, ich bin in größeren Runden ja auch in Deutschland nicht die große Erzählerin. Es ist mir etwas unangenehm, wenn mir so viele Leute auf Italienisch zuhören. Obwohl ich weiß, dass sie mir auch alle helfen. Ich rede aber schon mehr, als als am Anfang xD Aber ich setzte mich nicht mehr so unter Druck viel reden zu müssen und das ist angenehmer. Wenn ich während der Arbeit mit einem oder zwei meiner Kollegen rede, dann rede ich drauf los, was mir so in denn Sinn kommt. Das ist für mich viel einfacher, als in Gruppen.

Vor zwei Wochen hat mich Laura besucht, eine gute Freundin aus der Uni. Das war eine sehr schöne Zeit. Ich habe im Restaurant darum gebeten, einige Abende freimachen zu können. Wir haben eine Nacht in Florenz geschlafen und sind dann nach Lucca gefahren. Hier waren wir abends zusammen essen, auch in meinem Restaurant, wo wir keinen Cent bezahlen mussten und einen super schönen Abend hatten! Auch einen dieser italienischen Klischeeabende. Meine Kollegen haben sich immer mal wieder zu uns gesetzt und wir haben fantastisch gegessen. Eigentlich wollte ich mit ihr auch ans Meer, aber so richtig gut war das Wetter leider nicht. Ich habe es sehr genossen, mal wieder eine Freundin zu sehen, mich mal wieder so richtig zu unterhalten, ohne Schwierigkeiten und Überlegungen, wie ich dieses oder jenes jetzt formuliere. Einfach drauf los zu quatschen und jemandem aus Berlin zu zeigen, wie ich hier tatsächlich so lebe.

Vor ein paar Tagen haben wir eine Kollegin aus dem Restaurant überrascht, die Geburtstag hatte. Sie ist davon ausgegangen, dass nur wenige von den Leuten aus dem Restaurant Zeit haben, um mit ihr zu feiern und in Lucca etwas trinken zu gehen. Stattdessen sind wir nach der Arbeit, also so gegen 1:00 nachts zu dem kleinen Motorbötchen vom Koch des Restaurants gefahren. Um 3:00 haben wir in der Nähe von dem Städtchen „Marina di Pisa“ abgelegt und sind dann ein bisschen durch die Gegend geschippert. So gegen 5 gabs eine Stärkung, bestehend aus Pasta mit Pesto, davor sind wir nochmal ins Wasser gesprungen. Geschlafen haben wir alle nicht so richtig, weil so wenig Platz war und nachts war es außerdem relativ kalt auf dem Wasser, das Wasser hingegen war angenehm warm. Ich fand das alles total schön! Auf dem Weg nach Hause haben wir natürlich in einer Pasticceria gehalten und Cornetti und Caffe getrunken. Wie man das hier so macht in Italien :)

Mit einem meiner Kollegen und einem Kumpel von ihm war ich vor ein paar Tagen wieder auf einem Boot, diesmal allerdings vor der Cinqueterre. Ein wunderbares Fleckchen Erde! Die beiden haben den ganzen Tag geangelt und auch etliche Fische aus dem Wasser geholt. Ich hab einfach nur in der Sonne gelegen und das Baden gehen genossen.  Am Ende unserer Tour sind sogar noch Delfine aufgetaucht, die fröhlich durchs Wasser gesprungen sind.

Dann stand auch noch die „Notte bianca“an, die weiße Nacht in Lucca. Sie wurde groß angekündigt und beworben. Es fanden Konzerte statt, Geschäfte waren länger geöffnet, viel Musik auf den Straßen und viele Leute waren unterwegs. Nachdem wir das Restaurant zugemacht haben, sind wir noch ein bisschen in Lucca unterwegs gewesen, haben getanzt und ich habe auch ein paar andere Leute kennengelernt. Vorher haben mich die anderen gefragt, ob wir denn so etwas in der Art auch in Berlin hätten. Mir ist nichts vergleichbares eingefallen, ich habe vom Karneval der Kulturen und vom 1. Mai erzählt, weil ich noch nicht wusste war auf mich zukommen würde. Lucca ist generell keine besonders feierfreudige Stadt. So gegen 0:00 machen die meisten Bars zu, Clubs gibt es nur außerhalb der Stadtmauer, die habe ich noch garnicht gesehen. Es stellte sich auch schnell heraus, dass der Unterschied zu den ‚normalen’ Nächten nicht besonders groß ist. Um 2:00 ging die Musik aus und die Leute haben sich so langsam verabschiedet. Ich habe den anderen erklärt, dass es die „Notte Bianca“ doch in Berlin gibt: Sie findet nämlich täglich statt und wenn man sie nicht beenden will, lässt man es eben sein…

Wenn ich über all meine Erlebnisse schreibe, finde ich es immer wieder unglaublich, dass die Welt hier so heil scheint. Unglaublich unwirklich. Ich bekomme die aktuellen Geschehnisse, die in Deutschland und der Welt passieren nur am Rande mit. Die Situation der Flüchtlinge in Deutschland, die Aktivitäten der Rechten, das Willkommen heißen und abstoßen von Menschen, die Schutz suchen, der kleine Junge, der während der Flucht ertrunken ist und tot am Strand der Türkei gefunden wurde. Immer wieder kommen mir Gedanken, wie: „Das ist doch ungerecht, dass ich das hier alles erleben kann, mich so sicher fühle und alles so idyllisch ist“, wenn gleichzeitig so viele Menschen so sehr leiden. Sie flüchten aus ihrer Heimat und ich gehe freiwillig, um mich zu amüsieren. Da existiert das Mittelmeer, das so wunderschön still, dunkelblau und klar vor sich hinglitzert, mit den Delfinen, die vor unseren Augen durch die Gegend tollen und den Fischschwärmen, die unter dem Boot hindurchschwimmen. Und dann existiert das Mittelmeer, das aufgewühlt ist, stürmisch und so viel Kraft besitzt, dass es so viele Menschenleben fordert. Von dem ich überhaupt nichts mitbekomme.

Auch frage ich mich immer wieder, wie ich meine Stimme gegen die Ausländerfeindlichkeiten in Deutschland erheben kann, auch wenn ich nicht in Berlin bin und garnicht so richtig weiß, wie die Atmosphäre ist. Nicht an Demonstrationen teilnehmen kann, Klamotten oder Essen spenden kann. Ich bin noch auf der Suche nach einer Ausdrucksmöglichkeit und unschlüssig… Wenn ihr eine Möglichkeit gefunden habt, könnt ihr sie mir sehr gerne mitteilen!

Mit diesen Worten möchte ich diesen Post beenden.

Ich hoffe, dass es euch gut geht,

liebste Grüße von Ronja